Cover
Titel
Teaching Machines. The History of Personalized Learning


Autor(en)
Watters, Audrey
Erschienen
Cambridge 2021: The MIT Press
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
$ 24.95
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Michael Geiss, Zentrum Bildung und Digitaler Wandel, Pädagogische Hochschule Zürich

Wer sich im vergangenen Jahrzehnt mit der Geschichte und Gegenwart von Bildungstechnologien beschäftigt hat, kam um Audrey Watters kaum herum. Wortgewandt und pointiert analysierte Watters in ihrem Blog «Hack Education» aktuelle und vergangene Entwicklungen im großen Feld der technisch unterstützen Bildungsmedien. Die Palette an Themen, die auf dem Blog verhandelt wurden, reichten von «Massive Open Online Courses» (MOOCs) bis hin zur Geschichte der «Learning Analytics». Die Arbeit am Blog hat Watters unterdessen eingestellt. Noch immer sind viele der Beiträge aber ausgesprochen lesenswert, wie ein Blick in das Blogarchiv zeigt.1

Das 2021 bei der MIT Press erschienene Buch Teaching Machines: The History of Personalized Learning teilt mit Watters’ Blog den eloquenten Stil und das Thema. Es liest sich in einem Rutsch, ist souverän erzählt und streckenweise sogar witzig. Leider hält die Darstellung aber nicht, was der Titel verspricht: Sie widmet sich ausschließlich den historischen Entwicklungen in den USA und stellt einige wenige, eher bekannte Personen ins Zentrum ihrer Erzählung.

Watters zeichnet im Kern nach, wie die beiden amerikanischen Psychologen Sidney Pressey (1888–1979) und Burrhus Frederic Skinner (1904–1990) versucht haben, durch Automatisierung das schulische Lehren und Lernen effektiver und effizienter zu machen, mit wem sie dabei konkurrierten und wer ihnen nachfolgte. Dabei greift sie auf einen schier unerschöpflichen Fundus an Briefen und obskuren Veröffentlichungen zurück, der unter anderem Skinners Korrespondenz mit seinem Patentanwalt und verschiedenen Technologieunternehmen, die die Maschinen für den Universitätsprofessor bauen sollten, umfasst. Watters kann so fast schon intime biographische Portraits der zentralen Protagonisten zeichnen, die in einem interessanten Kontrast zu ihrer dezidiert kritischen Perspektive auf das Feld der Bildungstechnologien stehen. Obwohl sie klar gegen Effizienz- und Effektivitätsorientierung in pädagogischen Kontexten anschreibt, begegnet sie Skinner als Person wenn nicht mit Sympathie, so doch mit einer gewissen Anteilnahme.

Das Buch gliedert sich in zwölf inhaltliche Kapitel, die von einer etwas blassen Einleitung und einem arg auf die Relevanz der historischen Untersuchung gebürsteten Schluss gerahmt werden. Gleich im ersten Kapitel macht Watters klar, wer im Zentrum ihrer Geschichte stehen wird: B.F. Skinner und die von ihm entscheidend weiterentwickelte behavioristische Lerntheorie. Skinner war aber nicht der erste amerikanische Psychologieprofessor, der sich an einer Automatisierung des Lernens versuchte. Sidney Pressey, der in Watters Buch als tragischer Vorgänger Skinners gezeichnet wird, hatte bereits in den 1920er-Jahren erfolglos daran gearbeitet, eine eigene Lehrmaschine auf den Markt zu bringen. Presseys gescheiterte Versuche, aus der Testapparatur eine funktionierende und marktgängige Lehrmaschine zu machen, sind eigentlich bereits gut erforscht.2 Watters nutzt Presseys Geschichte aber, um die zentrale Erzähllinie ihres Buches anzulegen: Ihr Buch ist im Kern eine detaillierte Analyse selbstbewusster und durchaus kompetenter Wissenschaftler, die daran verzweifeln, dass die Industrie sich nicht für die Entwicklung theoretisch fundierter Bildungstechnologien interessiert, sondern das auf den Markt bringen möchten, was sich möglichst schnell kommerziell verwerten lässt. Die Wissenschaft, in diesem Fall die akademische Psychologie, wiederum braucht die Unternehmen, um ihre Theorien in funktionierende Apparaturen zu übersetzen und sie an die Schulen, Behörden und Lehrpersonen zu bringen.

Aus dieser Reibung zwischen Wissenschaft und Industrie bezieht das Buch seinen erzählerischen Witz. Das Werben Skinners und Presseys um die Gunst der Unternehmen, ihr Leiden an der Ignoranz der Industrie und die Anpassungsleistungen, die sie dann doch (oder auch gerade nicht) erbringen, um ihre Maschinen bauen lassen zu können, zeichnen Watters Darstellung aus.

Watters skizziert im dritten Kapitel ihres Buches den amerikanischen Markt für Bildungstechnologien und beschreibt die Hersteller als wenig an wirklich innovativen technologischen Lösungen interessiert. Es sind denn in ihrer Darstellung auch nicht die Lehrpersonen, die sich neuen Ansätzen verschließen, sondern die Firmen, die kein großes Interesse daran hatten, gänzlich neue Produkte zu entwickeln, die sich dann möglicherweise nicht kommerziell erfolgreich vermarkten ließen.

1954 wandte sich die International Business Machines Corporation (IBM) an Skinner und meldete Interesse daran an, eine von ihm konzipierte Lehrmaschine zu produzieren. Der Psychologieprofessor profitierte hier von seinem Harvardnetzwerk, das bis in das Unternehmen reichte. Trotz jahrelanger Verhandlungen, so Watters im vierten und fünften Kapitel, scheiterte die Zusammenarbeit mit IBM und Skinner suchte sich einen neuen Industriepartner, mit dem es auch nicht viel besser lief. Der Professor war vom guten Willen der Unternehmen regelrecht abhängig. Sein akademisches Kapital reichte gerade einmal so weit, dass er einen Fuß in die Tür bekam. Skinner selbst hatte auch gar kein großes Interesse am kommerziellen Erfolg seiner Produkte und betrachtete die marktgängigen Produkte sehr skeptisch; ihm war vielmehr daran gelegen, dass die Maschinen auf seinen lerntheoretischen Konzepten aufbauten, die Maschinen funktionierten und ihren Weg in die Schulen fanden. Dafür brauchte er jedoch die Unternehmen, die ihn mitunter am langen Arm verhungern ließen, da sie das kommerzielle Potenzial seiner Ideen nicht sahen.

In den 1950er- und 1960er-Jahren waren Lehrmaschinen und der sogenannte Programmierte Unterricht, die Zerlegung des Lehrens und Lernens in möglichst kleine analytische sequenzielle Einheiten, ein Thema, das bildungspolitisch, wissenschaftlich, literarisch und in den Massenmedien gleichermaßen große Aufmerksamkeit fand. In den Kapiteln sechs bis neun zeichnet Watters nach, wie dieser Hype zahlreiche Versuche und Produkte hervorbrachte, die wenig mit akademischer Lernpsychologie zu tun hatten, dafür aber mit umso größerer Emphase beworben wurden – und mitunter reißenden Absatz fanden.

Skinner blieb überzeugt, dass es einen großen Markt für Lehrmaschinen gebe, die auf lernpsychologischen Erkenntnissen beruhen. Und er sah sich als Anführer einer Bewegung, die die schulische Praxis revolutionieren würde. Im aufschlussreichen zehnten Kapitel zeigt Watters, wie Skinner mit seinen Bemühungen, eine Lehrmaschine zu lancieren, endgültig scheiterte. Was wissenschaftlich angezeigt schien, galt den Unternehmen als zu riskant. Was kommerziell erfolgreich war, genügte den wissenschaftlichen Ansprüchen nicht.

Die letzten beiden inhaltlichen Kapitel sind der zeitgenössischen Kritik an Skinners Ansätzen und der Lehrmaschinenbewegung gewidmet. Watters ruft hier zahlreiche alternative Positionen und bekannte Namen auf, von Alexander Neill und Paul Goodman bis zu Jerome Brunner und Noam Chomsky, ohne dass sich aus dem Überblick ein stimmiges Bild ergeben würde. Die Darstellung der Kritiker und Gegner Skinners und der alternativen Konzepte bleibt thesenhaft und entwickelt nicht den Sog der vorherigen Kapitel.

Es handelt sich bei diesem Buch also weder um eine Geschichte der Lehrmaschinen noch um die Geschichte des personalisierten Lernens. Watters konzentriert sich vielmehr auf eine relativ kurze historische Phase und hat sich für eine lineare Narration entschieden, die sie nur anhand weniger Personen, Ereignisse und Entwicklungen entfaltet. Auch wenn hinter der Titelsetzung und der Positionierung des Buches verlagsstrategische Gründe stecken mögen, ist die Konzentration auf Skinner und die US-amerikanische Lehrmaschinenbewegung doch auch ein historiographisches Ärgernis. Eigentlich ist die bildungshistorische Forschung bereits viel weiter: Es waren nicht nur meinungsstarke Psychologieprofessoren und findige Unternehmen, die neue Technologien in die Klassenzimmer bringen wollten, sondern auch Lehrpersonen, die im 20. Jahrhundert mit Geräten und neuen technischen Verfahren experimentierten, um den Unterricht lebendig, lebensweltnah und – eben auch – personalisiert zu gestalten.3 Diese Emphase lässt sich denn auch bei der frühen Nutzung von Computern in den Schulen ausmachen.4 Die pädagogische Welt, neben Lehrpersonen und Schulleitungen auch die Berufsverbände und staatlichen Fachstellen, ist also weniger unschuldig, als Watters sie zeichnet. Und die historischen Wurzeln heutiger digitalen Bildungstechnologien liegen nicht allein im Behaviorismus.5 Es ist zu hoffen, dass die breite Rezeption des Buches nun nicht ein Bild zementiert, das von der bildungshistorischen Forschung längst überholt worden ist.6

Anmerkungen:
1https://hackeducation.com/archives (25.11.2022).
2 Vgl. Stephen Petrina, Sidney Pressey and the Automation of Education, 1924–1934, in: Technology and Culture 45 (2004), S. 305–330; Stephen Petrina, Luella Cole, Sidney Pressey, and Educational Psychoanalysis, 1921–1931, in: History of Education Quarterly 44 (2004), S. 524–553.
3 Katie Day Good, Multimedia: How Educators Made Sense of New Media Multiplicity, in: Gabriele Balbi / Nelson Ribeiro / Valérie Schafer / Christian Schwarzenegger (Hrsg.), Digital Roots, Berlin 2021, S. 59–76, https://doi.org/10.1515/9783110740202-004 (25.11.2022).
4 Victoria Cain, Schools and Screens: A Watchful History, Cambridge, Mass. 2021; Joy Lisi Rankin, A People’s History of Computing in the United States, Cambridge, Mass. 2018.
5 Barbara Hof, The Turtle and the Mouse: How Constructivist Learning Theory Shaped Artificial Intelligence and Educational Technology in the 1960s, in: History of Education 50 (2021), S. 93–111, https://doi.org/10.1080/0046760X.2020.1826053 (25.11.2022).
6 Paul Saettler, The Evolution of American Educational Technology, Englewood 1990, insbes. S. 501–530; Marcelo Caruso, Geschichte der Erziehung und Bildung: Medienentwicklung und Medienwandel, Stuttgart 2018; Katie Day Good, Bring the World to the Child: Technologies of Global Citizenship in American Education, Cambridge, Mass. 2020.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension